19.03.24
 

Durch den passiven Widerstand der Behörden und der Bevölkerung gegen die Besatzungsmächte wurde das besetzte Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg vom übrigen Deutschland völlig abgeschnitten. Viele Arbeiter wurden in dieser Zeit brotlos. Die Inflation tat ein Übriges, um Armut und Hunger immer fühlbarer werden zu lassen.

Würselen Markt Kirche St. Sebastianus zur Jahrhundertwende

Würselen Markt Kirche St. Sebastianus zur Jahrhundertwende

Als die Not auf das Höchste gestiegen war, zogen in Würselen viele Arbeitslose vor das Rathaus und forderten die Erlaubnis zum Requirieren von Vieh, Getreide und Lebensmitteln bei den Landwirten und Geschäftsleuten. Da man ihnen diese Erlaubnis nicht geben konnte, griffen die Arbeitslosen in ihrer Verzweiflung zur Selbsthilfe und holten sich, was sie für sich und ihre Familien zum Leben brauchten.

Mit Ausnahme weniger Jahre war Würselen nach dem Ersten Weltkrieg fast ununterbrochen bis zum Jahre 1930 von belgischen Truppen besetzt. Die Kosten für diese Besatzung waren beträchtlich.

Ihre wirkliche Höhe lässt sich heute allerdings nur schwer schätzen da die Milliardenbeträge, mit denen man während der Inflation rechnete, das Bild verwirren. So muss etwa im Jahre 1923 in Würselen 41 Billionen 687 Milliarden Mark an Besatzungskosten aufgebracht werden.

Erst am 30. November 1930, zwölf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wurde Würselen endgültig von den Besatzungstruppen geräumt.

Trotz der ernsten Zeiten, in denen man damals lebte, wird uns aus dem Jahre 1923 eine Begebenheit überliefert, über die man heute noch schmunzeln möchte, eine Eulenspiegelei reinsten Wassers, mit deren Hilfe der damalige stellvertretende Bürgermeister die Einnahme des Rathauses durch die Separatisten verhinderte. Die Separatistenbewegung, die sich angeblich für ein „freies, unabhängiges Rheinland“ einsetzte, war bis dahin in Würselen kaum in Erscheinung getreten.

Das Würselener Stadtwappen

Das Würselener Stadtwappen

Nun aber war einer ihrer Abgesandten in Würselen aufgetaucht und versuchte, Anhänger zu gewinnen. Um die Behörden zu provozieren, schlug er zwei Plakate am Rathaus an, auf denen die „Rheinische Republik“ ausgerufen wurde. Als ein Beamter ihm dies verbot, fuchtelte er mit einer Pistole herum, stieß wilde Drohungen aus und verschwand schließlich, um Verstärkung zu holen.

Dieser Zwischenfall veranlasste den stellvertretenden Bürgermeister, erhöhte Alarmbereitschaft anzuordnen, alle Polizeibeamte - es waren wenig genug - im Rathaus zu versammeln. Tatsächlich erschienen in der Nacht 22. zum 23. Oktober 1923 annähernd 300 Separatisten, um das Rathaus zu stürmen. Die Belagerten öffneten ein vergittertes Fensterchen in der Rathaustür und gaben damit den Separatisten Gelegenheit, einen Blick in das Innere zu werfen. Was sie dort sahen, musste ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Das Rathaus wimmelte scheinbar von schwerbewaffneten Polizisten. In Wirklichkeit war es jedoch nur eine Handvoll Beamte, die ständig mit Gewehren am Arm auf dem Flur hin- und herliefen und damit bei den Beobachtern den Eindruck einer großen Zahl erweckten.

Und was die Gewehre betrifft – sie waren nichts weiter als Attrappen, Holzgewehre, die nicht einmal der Polizei sondern einer Schützenbruderschaft gehörten, da die Polizei auf Anweisung der Besetzung über richtige Waffen kaum verfügen durfte. Das Täuschungsmanöver gelang jedoch vortrefflich: Gegen eine solche Macht wagten die Separatisten nicht anzukämpfen und zogen wieder ab. In Würselen lachte man noch nach Jahren über diese Affäre, bei der auch Beamte einmal bewiesen -hatten, dass sie jederzeit in der Lage sind; auf einen Schelm anderthalbe zu setzen.

Und man konnte umso herzhafter darüber lachen, als sich sonst in den schweren Nachkriegsjahren zum Lachen wenig Anlass bot. Auch ein Ereignis, das man zu schweren Zeiten sicherlich mit großer Freude gefeiert hätte, vermochte in der Besatzungszeit nicht die rechte Stimmung zu wecken: 1924 wurde Würselen, inzwischen auf rund 14 500 Einwohner angewachsen, Stadt.

Mit besonderem Stolz konnte man nun das Stadtwappen zeigen. In seinem ersten Feld breitet der schwarze Reichsadler seine Schwingen aus und erinnert an die mittelalterliche Zugehörigkeit Würselens zum Aachener Reich.

Die zweite Vierung des Wappens füllt ein grünes Feld mit silbernem Wellenbalken. Es bezieht sich auf die geographische Lage Würselens an der Wurm, die ja auch in ihrem Stadtnamen zum Ausdruck kommt.

Das dritte, gleichfalls grüne Feld zeigt über einem goldenen Dreiberg silberne Schlägel und Eisen mit goldenen Stielen: Symbol für den Steinkohlebergbau, der durch Jahrhunderte für das wirtschaftliche Leben der Stadt bestimmt hat.

In der letzten Vierung schließlich enthält das farbenprächtige Wappen auf silbernem Feld ein schwarzes Balkenkreuz, das die frühere kirchliche Zugehörigkeit des Ortes zum Erzstift Köln hinweist.

Mit dem Wappen allein war es indes nicht getan. Die Erhebung Würselens zur Stadt brachte zahlreiche neue Aufgaben auf sozialem, kulturellem und baulichem Gebiet. Gerade für Würselen war die Frage der Raumplanung und Stadtgestaltung nicht leicht zu lösen, weil die Stadt keinen eigentlichen Mittelpunkt besitzt, um den man in organischem Aufbau wachsende Wohn- und Siedlungsgemeinschaft hätte gruppieren können.

Schweilbach, Scherberg, Morsbach und andere Ortsteile hatten schon nach ihrer Herkunft als fränkische Einzelgüter oder Marktgenossenschaften stets eigenständige Siedlungstendenzen. Selbst die gemeinsame Würselener Pfarrkirche als bedeutsamstes Zentrum mittelalterlicher Gemeinschaft vermochte diese selbständigen Ortsteile kommunalpolitisch kaum näher aneinander zubringen.

Es bedurfte daher aller Anstrengungen des Rates und der Verwaltung, um Würselen zu einem organischen Ganzen zusammenzuschweißen. Entscheidend hierfür waren die baulichen Planungen, die in den Jahren 1934 und 1939 durch Erwerbung des Industriegeländes zwischen Krefelder Straße und Elchenrather Straße eingeleitet wurden.

Inzwischen hatten sich mit der Übernahme der Herrschaft durch die Machthaber des Dritten Reiches auch im Kommunalen einschneidende Veränderungen ergeben. Viele aufrechte Männer wurden von den neuen Herren wegen angeblichen „politischen Missverhaltens“ aus ihren Ämtern und Stellungen entfernt, vor allem im Bürgermeisteramt gab es zahlreiche Kündigungen, Beurlaubungen und Entlassungen. Die Organisationen der Gewerkschaften waren bereits 1933 aufgelöst worden. Die politischen Parteien hatten sich noch im selben Jahr unter dem Druck der nationalsozialistischen Führung selbst aufgelöst. Die Tätigkeit der konfessionellen Jugendverbände wurde 1934 stark eingeschränkt. 1938 traf das Schicksal der Auflösung auch den Jungmänner-Verein und den Ketteler-Verein. Ihre Stelle nahmen jetzt die nationalsozialistischen Organisationen ein.

 Schon 1929 waren in Würselen und Morsbach Ortsgruppen der NSDAP gegründet worden, die 1935 zu einer Ortsgruppe zusammengefasst wurden. Formationen der SA und SS, der Hitlerjugend und andere politischer Verbände vervollständigten das Erscheinungsbild der herrschenden Staatspartei.

1936 werden die im Landkreis Aachen vertretenen nationalsozialistischen Einrichtungen in Würselen zusammengefasst. Würselen wird Sitz der Kreisleitung der NSDAP im Landkreis Aachen. Ein Jahr später lässt sich auch die Bannstelle des HJ-Bannes Aachen-Land in Würselen nieder. Damit ist die Stadt in den Mittelpunkt des politischen Lebens im Landkreis Aachen gerückt - eine zweifelhafte Ehre, wenn man bedenkt, wie sich der nationalsozialistische Geist in den verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens auszuwirken begann.

Es gab ja nicht nur Fackelzüge und Sprechchöre, Maifeiern und Kinderlandverschickungen Winterhilfssammlungen, Tage der Wehrmacht und Eintopfsonntage. Das alles nimmt sich noch vergleichsweise harmlos aus gegenüber der völligen politischen Gleichschaltung auf allen Gebieten, gegenüber Verleumdungen und Denunziantentum und der absoluten Unterdrückung jeder irgendwie anders gearteten politischen Meinung.

Alle Beamten und Lehrer sind zum Hitlergruß verpflichtet, die Lehrer müssen ihren Eid auf den Führer ablegen, aus den Klassenzimmern verschwinden die Kruzifixe, Geistliche dürfen keinen Religionsunterricht in den Schulen mehr erteilen. Aus den Amtssiegeln wird das Stadtwappen herausgeschnitten und durch den Reichsadler mit Hakenkreuz ersetzt, zahlreiche Plätze und Straßen werden umbenannt und führen jetzt die Namen der politischen Größen des Dritten Reiches

Bald schon gehören zu den Erscheinungsformen, in denen sich das neue Reich verkörpert, auch die Folgen des Zweiten Weltkrieges, die Brot-, Fett-, Zucker, Fleisch und Nährmittelkarten, die nächtlichen Fliegeralarme, das Dröhnen der Flakgeschütze. Bald schon werden Anordnungen erforderlich wie diese: dass bei einer Entwarnung nach Mitternacht am nächsten Vormittag der Unterricht in den Schulen ausfällt.

Bald werden die Schulsäle mit Soldaten belegt oder mit Männern der Organisation Todt, die am Westwall arbeiten. Bald gibt es im Rahmen einer „allgemeinen Reichsaktion“ einen Befehl zum Abtransport aller in Würselen ansässigen Juden nach Haaren-Hergelsmühle, von wo aus ihr weiteres Schicksal ins Ungewisse führt.

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